Frieden

Frieden

„Weltfrieden ist nicht nur möglich, sondern unausweichlich. Er ist die nächste Stufe in der Evolution dieses Planeten.“

(Das Universale Haus der Gerechtigkeit, Die Verheißung des Weltfriedens, Einleitung)

Frieden. Alle Menschen ersehnen ihn, doch viele glauben, Frieden oder gar der Weltfrieden seien unerreichbare Ziele unrealistischer Träumer. Wer so denkt, geht oft davon aus, der Mensch sei von Natur aus streitsüchtig und daher würde es immer Kriege geben. Diese Annahme beruht meist entweder auf dem Glauben, der Mensch sei ein Gefangener seiner körperlichen Triebe oder auf der Überzeugung, verheerende Aggressivität bzw. „Schlechtigkeit“ gehöre zur menschlichen Grundveranlagung.

Die Meinung, der Mensch sei unverbesserlich aggressiv oder von Grund auf „schlecht““ hat historische Wurzeln. Eine scheinbar endlose Folge kriegerischer Auseinandersetzungen und gewalttätiger Verhaltensweisen prägte durch die Jahrtausende die philosophische Vorstellung, der Mensch sei grundsätzlich kampflüstern. Parallel dazu lehrten manche theologische Richtungen ein schuldiges, sündiges Menschenbild. Bis heute wirken diese philosophischen und theologischen Ansätze in der Behauptung nach, der Krieg ließe sich niemals ausrotten.

Das Bahá’í-Menschenbild weist dagegen in eine andere Richtung. Laut Bahá’u’lláh ist die menschliche Veranlagung schöpfungsbedingt weder gut noch schlecht, sondern neutral. Es hängt vom Menschen selbst ab, wie er seine Anlagen entwickelt:

„Betrachte den Menschen als ein Bergwerk, reich an Edelsteinen von unschätzbarem Wert. Nur die Erziehung kann bewirken, daß es seine Schätze enthüllt und die Menschheit daraus Nutzen zu ziehen vermag.“

(Bahá’u’lláh, Botschaften aus ‚Akká, 11:3)

Dementsprechend können Hass und Gewalt verschwinden, wenn der Mensch sich selbst und seine Kinder zu friedfertigen Wesen erzieht und dafür sorgt, dass auf allen Ebenen friedenstiftende praktische Maßnahmen von geistigen Prinzipien getragen werden.

Frieden und Religion. Viele glauben, dies sei ein Widerspruch, nach unzähligen sogenannten „Religionskriegen“ in der Menschheitsgeschichte. Was dabei übersehen wird ist, dass nicht religiöse Lehren selbst sondern menschliche Fehlhaltungen die Ursache von Kriegen waren. Einzelne oder Gruppen haben häufig die Religion zur Durchsetzung ihrer egoistischen Ziele missbraucht und in früheren Jahrhunderten gab es kaum geeignete Instrumente, gewaltbereite Machthaber von ihren Kriegsgelüsten abzuhalten. Dies hat sich geändert.

Seit Menschengedenken prophezeien Heilige Schriften den Menschen eine Zukunft allumfassendes Friedens, ein „goldenes Zeitalter“, das durch einen Boten Gottes, einen „Friedensfürsten“ eingeleitet wird. Inzwischen haben Viele die Hoffnung aufgegeben, diese Verheißung würde sich jemals erfüllen. Doch die Bahá’í-Religion lehrt, dass dieses Zeitalter bereits angebrochen ist: Bahá’u’lláh ist der erwartete Fürst des Friedens.

Für dieses große Ziel mussten die notwendigen Bedingungen geschaffen werden. Nach Jahrtausenden der Erziehung durch die Boten Gottes hat die Menschheit nun einen geistigen und materiellen Entwicklungsstand erreicht, der den Weltfrieden ermöglicht.

„Zum ersten Mal in der Geschichte ist jedermann imstande, in einer Gesamtschau den ganzen Planeten mit seiner Vielzahl verschiedener Völker zu überblicken.“

(Das Universale Haus der Gerechtigkeit, Die Verheißung des Weltfriedens, 1985, Einleitung)

Doch obwohl die Chancen für einen dauerhaften Frieden heutzutage gut stehen, fehlt noch ein entscheidender Schritt: Die Menschheit muss sich mit festem Willen geeint zum Frieden entschließen:

„Ob der Frieden erst nach unvorstellbaren Schrecken erreichbar ist, heraufbeschworen durch stures Beharren der Menschheit auf veralteten Verhaltensmustern, oder ob er heute durch einen konsultativen Willensakt herbeigeführt wird, das ist die Wahl, vor die alle Erdenbewohner gestellt sind.“

(Das Universale Haus der Gerechtigkeit, Die Verheißung des Weltfriedens, 1985, Einleitung)

Um den Frieden also tatsächlich zu etablieren, bedarf es vieler Anstrengungen. Dabei muss es vor allem darum gehen, die Ursachen für Kriege zu beseitigen. Abrüstungsbemühungen und internationale Verträge sind zwar unverzichtbar, müssen aber auf einem tiefgreifenden Bewusstseinswandel basieren, denn Waffenarsenale sind nur Symptome der eigentlichen Krankheit und bloße Absichtserklärungen können fragwürdig sein.

Die Bahá’í-Schriften geben unzählige ebenso praktische wie geistige Hinweise darauf, welche Schritte zur Friedenssicherung nötig sind.

Zu den praktischen Elementen des Bahá’í-Friedenskonzeptes gehören z.B. Entmilitarisierung und ein kollektives Sicherheitssystem. Bahá’u’lláh verkündete:

„Die Zeit muß kommen, da die gebieterische Notwendigkeit für die Abhaltung einer ausgedehnten, allumfassenden Versammlung der Menschen weltweit erkannt wird. Die Herrscher und Könige der Erde müssen ihr unbedingt beiwohnen, an ihren Beratungen teilnehmen und solche Mittel und Wege erörtern, die den Grund zum Größten Weltfrieden unter den Menschen legen. Ein solcher Friede erfordert es, daß die Großmächte sich um der Ruhe der Völker der Erde willen zu völliger Aussöhnung untereinander entschließen. Sollte ein König die Waffen gegen einen anderen ergreifen, so müssen sich alle vereint erheben und ihn daran hindern. Wenn dies geschieht, werden die Nationen der Welt außer für die Wahrung der Sicherheit ihrer Reiche und die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in ihrem Staatsgebiet keine Waffen mehr brauchen. Dies wird jedem Volk, jeder Regierung und Nation Frieden und Ruhe sichern.“

(Bahá’u’lláh, Ährenlese,117:1)

Die Bahá’í-Lehren gehen dabei keineswegs von einer einseitig pazifistischen Vorstellung aus. In den Erläuterungen zu Bahá’u’lláhs zentraler Charta für eine zukünftige Weltkultur heißt es:

„Im Bereich der Gesellschaft geht das Prinzip kollektiver Sicherheit …keineswegs davon aus, daß die Anwendung von Gewalt abgeschafft wird. Vielmehr führt dieses Prinzip zu einem „System, in dem die Gewalt zur Dienerin der Gerechtigkeit gemacht“ und die Existenz einer internationalen Friedensstreitmacht vorgesehen ist, welche die „organische Einheit des ganzen Gemeinwesens sichert.“

(Bahá’u’lláh, Kitab-I-Aqdas, Erläuterungen 173)

Entmilitarisierung ist aus vielen Gründen eine Bedingung für den sicheren Fortbestand der Menschheit. Durch sie werden z.B. Finanzmittel frei, die heutzutage zur Lösung solch drängender Probleme wie Hunger, zerstörerische Armut, Bildungsmangel oder soziale Verwahrlosung fehlen. Entmilitarisierung dient darüber hinaus dem Schutz überlebenswichtiger Ressourcen wie Luft, Wasser und Boden. Bahá’u’lláh warnte schon im 19.Jahrhundert davor, welch Unheil der Welt u.a. durch Atomwaffen droht:

„Seltsame, verblüffende Dinge gibt es in der Erde …Diese Dinge sind imstande, die ganze Erdatmosphäre zu verwandeln, und eine Verseuchung mit ihnen wäre tödlich.“

(Bahá’u’lláh, Botschaften aus ‚Akká, 6:32)

Zentrales geistiges Element aller Friedensbemühungen ist die EINHEIT. Die Einheit Gottes, die Einheit der Religionen, die Einheit der Menschheit.

„So machtvoll ist das Licht der Einheit, daß es die ganze Erde erleuchten kann.“

(Bahá’u’lláh, Ährenlese, 132:3)

Ohne ein grundlegendes Bewusstsein dafür, dass alle Menschen miteinander verbunden sind und es in Wahrheit ihrer Natur entspricht, einander zu lieben, nicht zu hassen, kann es keinen Frieden geben. Bahá’u’lláh hat in Seinen Lehren ausführlich die geistigen Tugenden und sich daraus ergebenden Normen und Werte dargelegt, auf deren Grundlagen sich ein solches Bewusstsein bilden kann. Das umfangreiche Bahá’í-Schrifttum bietet sich jedem Menschen zur Erforschung dieser Grundlagen an.

Zu den Voraussetzungen für einen stabilen Weltfrieden zählen neben den bereits erwähnten Aspekten u.a. auch folgende Punkte:

  • Überwindung von Vorurteilen aller Art, wie z.B. Rassismus
  • Überwindung von fremdenfeindlichem Nationalismus zugunsten des Weltbürgerprinzips: „Die Erde ist nur ein Land und alle Menschen sind seine Bürger.“ (Bahá’u’lláh, Ährenlese, 132:3)
  • Beseitigung der Extreme von Reichtum und Armut
  • Gleichberechtigung der Geschlechter
  • Erziehung und Bildung für alle
  • Eine gemeinsame Welthilfssprache
  • Verbindliche Festlegung einer weltumspannenden Ordnung mit Strukturen und Regeln für ein gerechtes Miteinander der Völker
  • Eine gemeinsame Ausrichtung der Friedensbemühungen an grundlegenden geistigen Prinzipien
  • Ein Einstellungswandel bei jedem Einzelnen, der zu einer ethisch fundierten Lebenshaltung führt.

Manch‘ Leser mag jetzt denken: „Utopisch!“ Doch diese Aufzählung ist alles andere als wirklichkeitsfern. Weltweit treten Bahá’í-Gemeinden täglich den Beweis an, dass es möglich ist, die menschlichen Verschiedenheiten aller Art (z.B. der Rasse, der Kultur, des Charakters usw.) als Bereicherung für ein friedliches und fruchtbares Miteinander zu nutzen. Die Bahá’í-Gemeindeordnung hat sich sowohl auf örtlicher und nationaler als auch auf internationaler Ebene als belastbares Modell bewährt. Die Bahá’í-Gemeinschaft lädt alle Menschen dazu ein, dieses Modell hinsichtlich seiner Funktionsweise zu studieren.

Neben diesem Angebot, die bereits vorhandenen Bahá’í-Strukturen als Beispiel zu betrachten, beteiligt sich die internationale Bahá’í-Gemeinde auch aktiv an internationalen Beratungsprozessen. Als Nicht-Regierungsorganisation bei den Vereinten Nationen akkreditiert, veröffentlichte sie 1995 anlässlich des 50-jährigen UNO-Jubiläums das Statement „Wendezeit für die Nationen“. Dieses Statement befasst sich mit der Entwicklung und Rolle der UNO innerhalb einer globalen Ordnung und enthält sehr konkrete, potentiell bahnbrechende Vorschläge für einen stabilisierenden Prozess der Integration aller Völker und Nationen.

Das oberste Gremium der internationalen Bahá’í-Gemeinde hat im von der UNO ausgerufenen „Jahr des Friedens“ (1985) die Bahá’í-Positionen zum Thema in einer Botschaft an die Völker der Welt erläutert (einige Zitate aus dieser Botschaft s.o.).

Im Schlusswort heißt es dort:

„Es ist unsere tiefe Überzeugung, daß alle Menschen dazu erschaffen sind, ‚eine ständig fortschreitende Kultur voranzutragen‘,…daß die der Menschenwürde entsprechenden Tugenden Vertrauenswürdigkeit, Nachsicht, Barmherzigkeit, Mitleid und Güte gegenüber allen Menschen sind.

Wir bekräftigen erneut unseren Glauben, daß ‚die Möglichkeiten, die der Stufe des Menschen innewohnen, das volle Maß seiner Bestimmung auf Erden, der angeborene Vorzug seiner Wirklichkeit, an diesem verheißenen Tag Gottes offenbar werden müssen‘. Dies sind die Beweggründe für unseren unerschütterlichen Glauben,

daß Einheit und Frieden das erreichbare Ziel sind, dem die Menschheit zustrebt.“

(Das Universale Haus der Gerechtigkeit, Die Verheißung des Weltfriedens, Kap. IV)

Nach den Bahá’í-Lehren ist Weltfrieden unausweichlich, weil Gott ihn für die Menschheit bestimmt hat. Der Mensch kann diese Absicht Gottes nicht vereiteln, so glauben die Bahá’í. Dabei stützen sie sich auf die nachdrückliche Verheißung des Offenbarer Gottes für dieses Zeitalter:

„Diese fruchtlosen Kämpfe, diese zerstörenden Kriege werden aufhören und der ‚Größte Friede‘ wird kommen.“

(Bahá’u’lláh, Die Verkündigung Bahá’u’lláhs an die Könige und Herrscher der Welt)