Leben als Baha’i

Gebet und Meditation

Für Bahá’í ist das Lebensziel, Gott zu erkennen, Ihn zu lieben und Ihm zu dienen. Dabei begibt sich der Gläubige täglich auf einen Pfad geistigen Wachstums. Gebet und Meditation sind grundlegend für diese spirituelle Entwicklung.

Auf die Frage eines Gläubigen, warum es so wichtig ist, zu beten, antwortete ‚Abdu’l-Bahá:

„Nun zu deiner Frage: ‚Warum beten? Was ist der Sinn des Gebets….?‘

„Die Weisheit des Gebets besteht darin, dass es eine Verbindung zwischen Dem Diener und dem Einen Wahren schafft, denn im Gebet wendet der Mensch sein Antlitz mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele der Erhabenheit des Allmächtigen zu, sucht Seine Gemeinschaft und sehnt sich nach Seiner Liebe und Barmherzigkeit.“

(‘Abdu’l-Bahá, Göttliche Lebenskunst, S. 29)

Und an anderer Stelle:

„Es gibt nichts Lieblicheres in der Welt des Seins als das Gebet! Die Menschen müssen in einem Gebetszustand leben. Der gesegnetste Zustand ist der des Betens und Flehens. Gebet ist Zwiesprache mit Gott. Die größte Fähigkeit oder der lieblichste Zustand ist kein anderer als die Zwiesprache mit Gott. Sie schafft Geistigkeit, Bewusstheit und himmlische Gefühle, sie erzeugt neue Anziehungen vom Königreich und erweckt die Empfänglichkeit der geistigen Natur.“

(’Abdu’l-Bahá, zitiert in Ruhi-Buch 1, Gebet – Abschnitt 3)

Auch Shoghi Effendi erläuterte, dass der Körper Nahrung und die Seele geistige Nahrung benötigt.

„…der Kern religiösen Glaubens ist ein mystisches Empfinden, das den Menschen mit Gott vereint. Diese Haltung der geistigen Verbindung läßt sich erreichen und bewahren durch Meditation und Gebet, und das ist der Grund, warum Bahá’u’lláh die Andacht in ihrer Bedeutung so sehr betont. Für einen Gläubigen ist es nicht genug, nur die Lehren anzunehmen und zu befolgen. Er muß darüber hinaus den Sinn für Geistigkeit entwickeln, den er hauptsächlich durch das Gebet erwerben kann. Wie alle anderen göttlichen Religionen ist also der Bahá’í-Glaube im Grunde mystisch angelegt. Sein Hauptziel ist die Entwicklung des einzelnen und der Gesellschaft durch den Erwerb geistiger Tugenden und Kräfte. Es ist die Seele des Menschen, die zuerst genährt werden muß, und das Gebet versorgt am besten mit dieser geistigen Nahrung. Die Gesetze und Institutionen, die Bahá’u’lláh vorsieht, können ihre Wirkung nur dann voll entfalten, wenn unser inneres geistiges Leben vervollkommnet und umgestaltet ist. Sonst wird Religion zur bloßen Organisation entarten, zu einer toten Hülse.“

(Shoghi Effendi, Macht des Gebets, S.23)

Bahá’u’lláh hat eine Fülle von Gebeten offenbart. Bahá’í kennen Gebete für alle Lebenslagen: für Heilung, Geistiges Wachstum, Freigebigkeit, für Schutz bei Prüfungen und in Schwierigkeiten, für Trauungen, die Erziehung der Kinder, Totengebete, für das Gemeindeleben, Menschheit, Frieden und die Verbreitung des Glaubens.

„Gibt es einen Befreier von Schwierigkeiten außer Gott? Sprich: Gelobt sei Gott! Er ist Gott! Alle sind seine Diener und alle stehen unter Seinem Befehl.“

(Der Báb, Gebete, Nr. 66)

„Ich beschwöre Dich bei Deiner Macht, o mein Gott! Lass kein Leid mich bedrängen in Zeiten der Prüfung und lenke, wenn ich achtlos bin, meine Schritte recht durch Deine Eingebung. Du bist Gott. Mächtig bist Du zu tun, was Du willst. Niemand kann Deinem Willen widerstehen oder Deine Absicht vereiteln.“

(Der Báb, Gebete, Nr. 68)

„Dein Name ist meine Heilung, o mein Gott, Dein Gedenken ist meine Arznei, Deine Nähe ist meine Hoffnung und die Liebe zu Dir mein Gefährte. Dein Erbarmen ist meine Heilung und Hilfe in beiden Welten, in dieser und der künftigen. Du bist wahrlich der Allgütige, der Allwissende, der Allweise.“

(Bahá’u’lláh, Gebete, Nr. 142)

„Erschaffe in mir ein reines Herz, o mein Gott und schenke mir wieder ein ruhiges Gewissen, o meine Hoffnung. Bestätige mich durch den Geist der Macht in Deiner Sache, o mein Vielgeliebter, und offenbare mir Deinen Pfad durch das Licht Deiner Herrlichkeit, o Du Ziel meiner Sehnsucht. Erhebe mich durch die Kraft Deiner höchsten Macht in den Himmel Deines Seins, und erfreue mich mit den sanften Winden Deiner Ewigkeit, o Du, der Du mein Gott bist. Lass Deine ewigen Weisen Ruhe über mich strömen, o mein Gefährte, lass den Reichtum Deines urewigen Angesichts mich von allem außer Dir befreien, o Mein Meister und lass die Botschaft von der Offenbarung Deines unzerstörbaren Wesens mir Freude bringen, o Du, der Du der Offenbarste des Offenbaren und der Verborgenste des Verborgenen bist.“

(Bahá’u’lláh, Gebete Nr. 36)

Es gibt drei Pflichtgebete, von denen jeder Bahá’í täglich eines spricht. Das kürzeste umfasst nur drei Sätze und beschreibt die Beziehung zwischen Gott und den Menschen:

„Ich bezeuge, o mein Gott, dass Du mich erschaffen hast, Dich zu erkennen und anzubeten. Ich bezeuge in diesem Augenblick meine Ohnmacht und Deine Macht, meine Armut und Deinen Reichtum. Es gibt keinen Gott außer Dir, dem Helfer in Gefahr, dem Selbstbestehenden.“

(Bahá’u’lláh, Gebete, Nr. 1)

Auf die Bedeutung des kurzen Pflichtgebets angesprochen, erläuterte Shoghi Effendi, dass

„Bahá’u’lláh in einem kurzen Satz die Essenz des Lebens zusammengefasst hat: wir kommen von einem Vater; wir erfahren auf unserem Weg durchs Leben Prüfungen und Schwierigkeiten, damit unsere Seele wachsen kann; der Grund unseres Daseins ist, zu lernen, unseren Schöpfer zu erkennen und anzubeten. Indem wir dies tun, wächst unsere Liebe zu Ihm. Dies ist die größte Freude, die eine Seele erfahren kann.“

(Shoghi Effendi, Brief an einen Gläubigen, 1953)

    Meditation

    Regelmäßige Meditation ist Bestandteil des Bahá’í-Glaubens, die Art und Weise ist jedoch jedem freigestellt. Beim Meditieren bemüht sich der Mensch um gedankliches und emotionales Loslassen. In Stille wendet er sich dem Spirituellen zu.

    „Das Wesen der Loslösung ist für den Menschen, das Angesicht dem Hofe des Herrn zuzuwenden. In Seine Gegenwart zu treten, Sein Antlitz zu schauen und als Zeuge vor ihm zu stehen.“

    (Bahá’u’lláh, Botschaften aus ‚Akká, S. 180)

    Während der Mensch beim Beten mit Gott spricht, tritt er in der Meditation mit der eigenen Seele in Verbindung. Meditation ist eine Fähigkeit des menschlichen Geistes. Der Mensch öffnet sich dabei der Erkenntnis und göttlicher Inspiration.

    „Der Menschgeist erhält Kenntnisse und neue Kraft durch die Meditation. Durch sie werden Dinge, von denen der Mensch nichts musste, vor seinen Augen ausgebreitet. Durch sie empfängt er göttliche Eingebung, durch sie erhält er himmlische Nahrung. Meditation ist der Schlüssel zu den Toren der Geheimnisse… Die Fähigkeit des Meditieren befreit den Menschen von seiner tierischen Natur, lässt ihn die Wirklichkeit der Dinge deutlich sehen und bringt ihn in Verbindung mit Gott. Diese Fähigkeit bringt Künste und Wissenschaften aus dem Bereich des Unsichtbaren hervor. Erfindungen werden durch sie ermöglichst, gewaltige Unternehmungen durch sie ins Leben gerufen.“

    (‚Abdu’l-Bahá, Die Macht des Gebets, S. 17)

    Für Bahá’í-Gläubige ist eine weitere Möglichkeit, geistige Bereicherung zu erfahren, das wiederholte Sprechen des Wortes „Alláh’u’Abhá“. In diesem einfachen Akt der andächtigen Meditation setzt sich der Gläubige nieder, wendet sich Gott zu und spricht dann fünfundneunzigmal „Alláh’u’Abhá“ (arabisch: Gott, der Allherrliche).